Heinrich Schwazer

Nichts ist weiter weg als das wahre Selbst  Gotthard Bonell bleibt sich treu. Das große, radikale Thema seiner Malerei bleibt das Ausgeliefertsein des Menschen an seine körperliche Existenz, an die fleischliche Realität. Nicht das geistige Wesen interessiert ihn, sondern die leibliche, animalische, geschlechtliche Gestalt. Er ist kein Durchleuchter der Seele, er betrachtet die Kämpfe des  Körpers, ganz nach dem nachmetaphysischen Grundsatz, wonach nichts weiter weg ist als das „wahre Selbst“. Sein Thema ist das Begehren, das einen wie ein wildes Tier in einer dunklen Gasse anfällt, die individuelle „Wahrhaftigkeit“, die im Sicht- und Tastbaren erfahrbar wird:

Verbot und Verlangen, Abwehr und Verführung, Wunsch und Ent-Täuschung, der Konflikt zwischen Projektion und Wirklichkeit. Ob erotische Obsession oder Leidensgeschichte des Fleisches – in seinen neuen, während der vergangenen zwei Jahre entstandenen Bildern, setzt Bonell den Körper als Ort widerstrebender Kräfte und als exemplarisches Selbst deutlich expliziter, aber nicht weniger subtil und mit ähnlicher Obsession, als bislang ins Bild. Von nackten Männerhintern bis zu einem wie in Courbets „Ursprung der Welt“ hingestreckten Frauenakt geht er weit aus der Distanz der Verschnürungen und Verhüllungen heraus. Wenn Kunst logisch wäre, wäre das als ein logischer Schritt in seiner bisherigen Entwicklung zu bezeichnen. Der nächste fällige Schritt wäre dann ins Innere vorzudringen, ins Fleisch.  Wer allerdings nur erotische Eskapaden oder famos inszenierte Peep-Shows in den neuen Bildern sieht, gleitet an ihrer Oberfläche ab. Exhibitionismus, Lust am Rollenspiel, Maskeraden, Täuschungen – das alles ist präsent. Bonell liebt den großen, schwindelerregenden Effekt, und hemmungslos kostet er die Reizbarkeit der Sinne aus. Doch je mehr man sich auf das Entfalten einläßt,  umsomehr verstrickt man sich  in neue Fremdheiten.  Bonell verwendet zwar zum Teil Fotos als Ausgangspunkt seiner Malerei, aber im Gegensatz zu zahlreichen anderen Körper-Künstlern exerziert er nicht die medialen Konstruktionen von Identität, die gesellschaftliche Vereinnahmung des Körpers mit ihren Relativierungen, Abfälligkeiten und  Erledigungen durch. Seine Konzeption ist klassischer  orientiert, sie umkreist das menschliche Dasein grundsätzlicher. Peter Weiermair bemerkt zu recht, dass die „Anatomie der konstruierten Modelle den paradoxen Schwebezustand der Metamorphose beschreibt: im Bild befinden sich hybridische Wesen, deren Zwangschnüre sie veranlassen, stillebenartige Haltungen anzunehmen.“  Dieses stilllebenhafte Arrangement der Körperfragmente  steht kontrapunktisch zur Dressur und Zurschaustellung des Fleisches. Bonell bedient sich der Tradition der Fixierung des Körpers in statuarischer Schönheit, doch er hält körperliche Situationen fest, die nicht andauern können. Gewunden wie das Schiffstau, mit dem sie gefesselt sind, erscheinen sie. Je länger man sie anschaut, desto unsicherer wird man, ob man es mit einem Totentanz in barockem Licht oder mit einer Dunkelkammer des Begehrens zu tun hat. Erkennbare Identitäten sind ausgespart, die Körper sind in den Fokus einer protoindividuellen Körperlichkeit gerückt und haben dennoch nichts Objekthaftes an sich.  Häufig sind die Leiber schlicht aus der Dunkelheit ausgespart, die Geschöpfe im Zentrum der Bilder zusammengedrängt, ohne Halt. Höchstens ein Ledersessel ist zu sehen – nichts soll von der Dynamik des Körpers ablenken. In den diversen Spielarten mehr oder weniger subtiler Fesselungskünste spiegelt sich der Körper als gestaltbarer Gegenstand. Das Ephemere dieser unmöglichen Posen kehrt auf der nächsten Abstraktionsstufe wieder: Je  näher er dem Organischen kommt, desto größer die  Verwandtschaft zum Anorganischen, zu Felsen, Schründen und Landschaften Die Spannung zwischen Distanz- und Schonungslosigkeit, mit der die Körperfragmente ins Bild gebracht werden, ist irritierend und irrisierend. Es ist faszinierend zu sehen, wie Bonell die Beschaulichkeit der natura morta mit der enigmatischen, sexuellen Aufladung der Körper zusammendenkt.  Bonell arbeitet nach  Fotos und Modellen, doch stets sind die Körper auf ihre malerische Wirkung hin geknetet.Darin scheint ein Reflex auf die  Figura serpentinata, die Kunstfigur par excellence,  enthalten zu sein, die die Gliederung des Körpers auflöst, um zur Logik der Malerei  durchzustoßen. Es geht nicht um Darstellung, sondern darum, alle Möglichkeiten der Realitätsspiegelung zu bedenken, um mit dem Pinsel ein Mehr erreichen zu können.  Zugleich ist aber eine bislang in seiner Malerei nicht so deutlich zu Tage tretende Tendenz zum Zeichnerischen zu bemerken. Der Pinselstrich ist nicht mehr so pastos wie früher, die Umrisse sind mit Schraffuren gearbeitet. Die Pinselzüge sind äußerst kleinteilig, nicht mehr elastisch modellierend, folgen nicht mehr dem Duktus des Körpers, dem Knochenbau und den Muskeln. Das Spannungsfeld von Entblössung und Verhüllung wird dadurch noch weiter. Bonell empört die Sinne, aber im gleichen Moment verstört er alles Aufreizende durch eine zurückhaltende Malweise.  Eros und natura morta: In Bonells neuen Bildern haben Erotik und Tod ein dauerhaftes Lager nebeneinander aufgeschlagen.

Heinrich Schwazer